“Konzulska vremena” Christoph Baumgarten (Wien)
Robert Lisle müht sich ab vor dem Turm der mittelalterlichen Festung in Travnik in Zentralbosnien.
Der Posaunist der österreichischen Gardemusik hat die Klassiker durch und stimmt das Hauptthema von Star Wars an.
Es ist warm, die Sonne strahlt. Über den Bergen ziehen drohende Wolken auf.
Robert schwitzt ein wenig in der Uniform und muss sich überlegen, was er als nächstes spielt.
„Es war alles sehr kurzfristig“, sagt er. „Meine Anordnung war: Komm rauf, und spiel.“

Nur, was er spielen soll, hat ihm niemand gesagt, und das macht es auch für einen wie Robert schwierig.
Als Posaunist der Gardemusik des österreichischen Bundesheeres kann man ihn ohne Umschweife als einen der besten Blasmusiker Österreichs bezeichnen.
Irgendetwas hat nicht ganz geklappt mit der Koordinierung der Planung zwischen der Stadt Travnik, dem Heimatmuseum und der österreichischen Botschaft, die heuer die Aufführung von „Die Zeit der Konsuln“ (Travnička hronika) von Ivo Andrić sponsert.
Bemerken tun das allenfalls Feinspitze.
Dieser verdammte bosnische Sommer
Und alles, was der Planung von Enes Škrgo direkt unterliegt, klappt sowieso wie am Schnürchen.
Enes ist anerkannter Experte für den jugoslawischen Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić und leitet das Museum im Geburtshaus des Schriftstellers und Diplomaten in der zentralbosnischen Kleinstadt.
Er ist gleichsam Schöpfer der heutigen Veranstaltung.
Das Konzept ist so einfach wie risikoreich: Der Roman formt die Klammer, innerhalb derer Teile des Romans an Originalschauplätzen in der Stadt aufgeführt werden, und innerhalb derer diplomatische Vertreter in Bosnien die Stadt kennenlernen können, die immerhin 150 Jahre lang der osmanische Verwaltungssitz in Bosnien war.
Im Vorjahr hat die französische Botschaft die Patronanz übernommen, heuer ist es Österreichs Botschafterin in Bosnien, Ulrike Hartmann.

Das ist passend. Kernstück des Romans sind die Bemühungen des österreichischen und französischen Konsuls Anfang des 19. Jahrhunderts, die Gunst des osmanischen Vezirs in Bosnien zu erringen – und ihre Intrigen gegeneinander.
Das Einzige, was nicht in Enes‘ Planungsbereich liegt, ist das Wetter.
Das ist in diesem bosnischen Sommer außer wechselhaft wechselhaft.

Pünktlich, als die österreichische und die französische Botschafterin und der deutsche und der chinesische Botschafter eingetroffen sind und einem Freiluftkonzert auf der Festung beiwohnen sollen, beginnt es zu schütten.
Man weicht in einen kleinen Saal im Nebengebäude aus.
Regenschirme sind sofort bei der Hand, damit die Teilnehmer auf dem kurzen Weg nicht nass werden.
Enes hat vorgesorgt.
Schauspieler Matej Baškarad schlüpft aus dem Vezir- ins Franziskanerkostüm und gibt mit einem der Schlüsseltexte des Romans eine Einführung ins Geschehen.
Begleitet wird sie von einem Liederreigen des Travniker Ensembles Ad Libidum.

Es ist in letzter Sekunde von der Freiluftbühne ins Kämmerchen geflüchtet.
Die Tür geht auf, und ein großgewachsener graumelierter Mann bestritt strahlend den dunklen Saal.
Der Brite hat den coolsten Regenschirm
„Britain has arrived“, sagt der britische Botschafter mit einem Hauch von Selbstironie, und gleichwohl verspätet, erweist er sich als der wohl am besten vorbereitete Gast der Veranstaltung.
Der Mann hat seinen eigenen Regenschirm, ganz durchdesignt mit Union Jack und der Aufschrift „British Foreign Service“.
Wer, wenn nicht ein Brite, hat immer einen Regenschirm dabei?
Noch dazu einen, der sowohl übersteigertes Selbstbewusstsein wie Selbstironie in Einem ist.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Brite hat den coolsten Regenschirm.

Die Machtverhältnisse haben sich seit Ivo Andrić umgekehrt
Als wir in die Stadt hinuntergehen, geführt von Enes und Matej, ist freilich der chinesische Botschafter der Beliebteste.
„My ambassador“, spricht ihn Amir an, der Chauffeur von Travniks Bürgermeister Kenan Dautović.
Dautović hat Amir voriges Jahr auf eine längere Schulung in China geschickt.
Und wenn Amir den chinesischen Botschafter schon in Beschlag genommen hat, nutzt der Bürgermeister die Gelegenheit.
„Warum feiert ihr das chinesische Neujahr nicht einmal in Travnik?“, lobbyiert er.
Heute buhlen nicht die Diplomaten um die Gunst der Mächtigen in Travnik.
Die Mächtigen in Travnik buhlen um die Gunst der Diplomaten.

Auch die Freundlichkeit und das merkbare Interesse der heute anwesenden Botschafter heute in Travnik – mit Ausnahme des Chinesen sprechen alle sehr gut bis fließend die Sprache ohne Namen – können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bosnien de facto ein EU-Protektorat ist, politisch wie vor allem ökonomisch.
Die kulinarischen Botschafter Österreichs und Mirkos Diplomatie
Am Hauptplatz Travniks bereiten zwei Köche des österreichischen EUFOR-Kontingents unter einem Zelt Kaiserschmarren zu. Serviert mit Original Zwetschgenröster von Darbo.
Daneben spielt eine Abordnung der Gardemusik, der besten Musikeinheit des österreichischen Bundesheeres.



Am süßspeisenverliebten Balkan erscheint Kaiserschmarren eine sichere Sache, wenngleich die Bosnier etwas zurückhaltend sind.
So ein Kaiserschmarren sieht ungewohnt aus für hiesige Augen – zumindest für Erwachsene.
Die Kinder sind deutlich interessierter an der für sie exotischen Süßspeise.
Ein fünf- oder sechsjähriger Bub marschiert mit einer Portion Kaiserschmarren über den Hauptplatz.
Ich will ihn fotografieren – am besten so, dass man ihn nicht genau erkennt, sondern nur den Kaiserschmarren.
Man muss ja Kinder nicht unbedingt aus der Nähe fotografieren, so aus Prinzip.
Der Kleine sieht das, und hält mir seinen Teller entgegen.

„Willst du?“, fragt er mich.
„Willst du nicht mehr?“
„Ich kann nicht mehr“, sagt er.
„Bist du dir sicher? Das ist ja was sehr Gutes“.
„Gut ist es schon. Aber ich kann nicht mehr“, sagt der Kleine.
Mirko heißt er, sagt mir seine Mutter.
„Mirko, willst du wirklich nicht mehr? Als Kind habe ich das immer sehr gerne gegessen.“
„Nein, ich will nicht mehr.“
Immer noch streckt mir Mirko seinen Teller entgegen.
Ich nehme ihn.
So einen Kaiserschmarren kann man nicht verkommen lassen.
Spontane völkerverständigende Diplomatie sozusagen.
Sehr gut gelungen ist er, wenn auch vielleicht etwas auf der festen Seite gelandet.
Aber das ist Kritik auf höchstem Niveau. Wahrscheinlich war das ideale Mehl kurzfristig nicht verfügbar.
Wie viele Teller Mirko gegessen haben mag?
Auch für Travniker wird die Veranstaltung interessant
Mittlerweile stellen sich die Botschafter und Botschafterinnen um einen Teller an.
Auch der chinesische samt seiner Gattin.

Jetzt wagen sich auch die erwachsenen Bosnier langsam an die Sache heran.
Ich stelle mich auch an.
„Du schaust aus, als könntest eine große Portion vertragen“, sagt mir einer der EUFOR-Köche mit Kennerblick.
„Wenn du magst, kannst dir gerne Nachschlag holen.“
Der Bürgermeister unterschreibt am Hauptplatz schnell ein Empfehlungsschreiben für eine Travnikerin.
Unser Tross geht weiter, und mittlerweile haben sich auch Einheimische angeschlossen.
Wir machen Halt vor dem Cafe Konsul, benannt nach dem Roman.

Der Tanz der Liebe
Der Platz vor dem Cafe ist Schauplatz für ein weiteres Kapitel aus dem Roman: Salko und Agata.
Albina Huskić und Ivan Salonski führen die Liebesgeschichte des jungen Travnikers und der Diplomatentochter als Ballettstück auf.
Die Choreographie stammt von Jovana Milosavljević–Lovrenović und Ivan.
Alle drei sind Mitglieder der Ballett-Kompanie des bosnischen Nationaltheaters in Sarajevo.
Es ist eine Aufführung auf höchstem Niveau.

Man hat keine Mühen gescheut, um den Roman und den Autor dem Publikum näherzubringen.
Diese Aufführung ist lebendig, frisch und engagiert, im Gesamten wie in ihren Teilen.
So vermeidet die Stadt Travnik das Risiko, das das einfache Konzept der Veranstaltung birgt: Dass es ins Klischeehafte abrutscht, im Banalen steckenbleibt.
Was man hat, wird spannend und kreativ eingesetzt.
Die Sache mit der Bibliothek
Das gilt auch für das, was man nicht mehr hat.
Gemeinsam mit den Botschaftern enthüllt Bildhauer Damir Šabić eine neue Skulptur von Ivo Andrić in der Stadtbibliothek.
Das Publikum ist mittlerweile dichtgedrängt.
Zu dicht, als dass mein Foto gelingen würde.
Mirsad Mujanović, Fotograf aus Travnik hat das in seiner Fotoserie deutlich besser geschafft.
Eine ambivalentere Ehrung für den bedeutendsten Sohn der Stadt als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Bis im Krieg in den 90-ern war diese Bibliothek nach Ivo Andrić benannt.
Der Schriftsteller hatte dem nur widerwillig zugestimmt. Er wollte nichts nach ihm Benanntes.
Hier konnte er nur schlecht Nein sagen.
Mit dem Geld für seinen Literaturnobelpreis hatte er den Ausbau öffentlicher Bibliotheken in Bosnien finanziert.
Warum sollte da nicht seine Geburtsstadt die von ihm finanzierte Bibliothek nach ihm benennen?
Dass es ein Trick der Travniker war, damit sie auch im Geburtshaus ein Ivo Andrić-Museum einrichten konnten – geschenkt.
Im nationalistischen Furor der 90-er beschloss der Travniker Gemeinderat, dass die städtische Bücherei nicht mehr den Namen von Ivo Andrić tragen sollte.
Ein Teil der komplizierten und politisierten Rezeptionsgeschichte von Ivo Andrićs Werk, über das ihr HIER mehr lesen könnt.
Mittlerweile scheinen viele eingesehen zu haben, dass die Umbenennung der Bücherei ein Fehler war.
Wie mir Enes sagt, gibt es eine Initiative von Travniker Gemeindebürgern, der Bibliothek den alten Namen zurückzugeben.
Wie könnte man auch anders, wenn seit der heurigen Travnička hronika-Aufführung eine Skulptur des Schriftstellers vor dem Gebäude steht?
Allein, Politik geht nicht immer logische Wege. In Bosnien tut sie das vielleicht noch weniger als andernorts.

Matej schlüpft ein letztes Mal in ein neues Kostüm.
Im Innenhof des Ivo Andrić-Geburtshausmuseums gibt er Josef von Mitterer, den österreichischen Konsul aus dem Roman.
Der schildert seine Gedanken über die Stadt.
Im Veranstaltungssaal des Museums stellen örtliche Initiativen dem internationalen Publikum ihre Projekte vor.
Von der Renovierung des Feuerwehrhauses bis zum Naturzentrum im nahegelegenen Wald.
Travnik, so die Botschaft, lebt nicht nur von seiner Geschichte und seinem bekanntesten Sohn sondern möchte auch eine Zukunft haben.
Dass das auch ein subtiles Herumreichen des Spendenhuts ist – geschenkt.
Es ist kein reiches Land. Es ist keine reiche Stadt.
Dass Bosnien de facto EU-Protektorat ist, ändert nichts daran.
Es macht es schlimmer.
Das können auch die EU-Botschafter nicht ändern, die heute da sind.
Das ist nicht ihre Aufgabe.
Es sind die Parlamente und Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die die Politik gegenüber Bosnien machen.
Eine Politik meist zugunsten von EU-Konzernen, wie österreichischen Banken und deutschen Handelsketten.
Die bosnische Politik bemüht sich in der Regel einzig um die Verteilung der Brosamen, die diese Politik übriglässt.
Die Politik der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber Bosnien muss sich ändern, wenn sich etwas in Bosnien ändern soll.
Vielleicht sind Veranstaltungen wie diese ein kleiner Anfang.
Sie zeigen das Land als einen Ort mit Menschen, mit Geschichte, mit Hoffnungen und Plänen.